Samstag, 30. Juni 2012

Entmenschlicht eure Haustiere

Liebe Leserinnen und Leser,

ich hatte nie behauptet, dass der Blog hier nur vom Bauchreden handelt. Eher "aus dem Bauch heraus" ist. Daher heute einmal ein "nicht-bauchrednerisches Thema". Obwohl es doch nicht völlig weit entfernt ist vom Bauchreden. Aber zu der Verbindung zum Bauchreden später noch mehr.

Neulich sah ich mir das Live-Programm "Hund - Deutsch, Deutsch - Hund" vom "Hundeprofi" Martin Rütter an. Vielen von euch dürfte er möglicherweise schon bekannt sein. (Der aktuelle Stern hat ihn als Titel!) Er ist schlicht der Mann, den man sich holt, wenn man mit seinen Hunden nicht (mehr) klar kommt: der Hundeprofi eben.

Hier einmal Ausschnitte des Programmes.

Er macht während des erwähnten Auftrittes auf ein Phänomen aufmerksam: nämlich, dass wir mit unseren Hunden reden wie wir mit Menschen reden würden: in ganzen Sätzen. "Machst du wohl sitz."

Ich selber habe nie einen Hund gehabt. Aber neulich saß ich bei meinen Meerschweinchen und merkte auch, wie ich irgendetwas zu ihnen sagte - ja, in ganzen Sätzen - so als würden sie mich verstehen. Dann dachte ich an die Vermenschlichung und sagte nichts mehr.

Eine der beiden Meerschweinchen hat zurzeit auch Zysten an den Eierstöcken. Das heißt Hormonschwankungen und insbesondere: drauf auf das andere Weibchen! Natürlich am besten mitten in der Nacht. Wann denn auch sonst... Anfangs war Nelly auch noch schüchtern. Mittlerweile nicht mehr ganz so. Leider muss ich fast sagen. Denn die ersten Male war Stille, als ich im Bett gegen den Bettrahmen geklopft habe. Ausrufe wie: "Bist du wohl ruhig." oder ähnliches lasse ich ab jetzt ganz bleiben. Das, so merkte ich neulich, wäre ja wieder Vermenschlichung... und wird im übrigen sowieso nichts bei ihr nützen. Erstens einmal kann sie nichts für die Hormonschwankungen und zweitens ist sie mittlerweile so mutig geworden, dass sie auch mein Rufen, egal was ich denn rufen würde, nicht abhalten würde. Teile des allgemeinen Fehlverhaltens, was wir alle gegenüber Hunden betreiben, findet sich also durchaus auch mit anderen Tieren wieder. Und das nicht mal unbedingt bei Tieren, die tatsächlich auch überhaupt noch groß reagieren könnten so wie Hunde, wenn wir ihnen Anordnungen geben. Effektiv fand ich in letzter Zeit an den Käfig zu kommen und möglicherweise entweder Nelly anzustubsen mit einem Finger oder zumindest mit der Hand in ihre Nähe zu kommen. Nicht drohend, einfach nur die Hand in den Käfig. Ganz so mutig ist sie nämlich doch wieder nicht, um weiter bei Bibi zu bleiben. Das hilft dann wenigstens für den Moment. (Die Hormonspritzen helfen auch.)

Was hat das ganze nun mit Bauchreden zu tun? Ab und an habe ich auch meinen Gaston, die Fledermaus, in unseren Betreuungsgruppen. Gerade neulich erst öffnete ich mit Gaston in der Hand die Tür, um Angehörige herein zu lassen, ihren Verwandten abzuholen, die beim Anblick von Gaston doch wirklich reagierten mit: "Oh, ist das aber ein Süßer!" Andere gingen noch weiter und fragten, fast als wäre es ein echtes Tier: "Wie heißt er denn?" Möglicherweise noch gefolgt von einem vorsichtigen: "Das ist doch ein Er, oder?" Nein! Es ist ein "Es" und eine Handpuppe! Das habe ich natürlich keinem der Angehörigen gesagt. Ich antwortet immer brav mit: "Es ist ein Er." Die Frage des Namens ist schon wieder eine andere Geschichte. Im Katalog stand er als "Gaston" ausgeschrieben, eine meiner Kolleginnen nannte ihn aber von Anfang an "Gomes" und die meiste Zeit wird er ohnehin gar nicht mit Namen angesprochen. Insofern ist er ein quasi halb namenloser Gaston.

Diese Vermenschlichung und Personifizierung auch bei (Hand)Puppen macht sich der Bauchredner gerade zu Nutze. Denn genau das trägt zur Illusion bei... und auch zur Ablenkung des Bauchredners, sollten sich seine Lippen doch einmal bewegen während die Puppe "spricht". Ich bin mir nicht mehr sicher, wo ich es gelesen habe, ich meine in Edgar Bergens Buch, aber andere geben sicher auch den Hinweis: wenn man als Bauchredner mit einem Buchstaben oder ganzen Wort unsicher ist, kann man die Puppe eine deutliche Bewegung in irgendeiner Form machen lassen. Wenn das Publikum nicht sowieso schon auf die Puppe schaut, weil sie gerade "spricht", lenkt zumindest die deutliche Bewegung der Puppe wieder die Aufmerksamkeit weg von dir zur Puppe hin.

Es gibt ein Interview mit Rasheda Ali und Ronn Lucas auf youtube. Anfangs ist er noch alleine, doch dann hat er Buffalo Billy aus dem Koffer geholt und plötzlich ist das Fragen stellen nicht mehr ganz so einfach. Soll sie Billy selbst ansprechen oder mit Ronn Lucas über Billy sprechen? "Mit wem spreche ich denn jetzt?", fragt sie in einem Moment. Ronn Lucas nimmt es gewohnt mit Humor und antwortet ihr, "Das ist das Problem mit Bauchrednern."

Sowohl Jay Johnson als auch Paul Winchell wissen von Fernsehproduktionen zu berichten, in denen sie als Bauchredner auftraten und der Ton für die Puppen kaum zu hören war, obwohl alle Schauspieler klar und deutlich zu verstehen waren. Für beide war es reiner Zufall, dass sie irgendwann endlich merkten, dass der Mensch, der das Mikro für die Dialogaufnahme bediente das Mikro auf die Puppen richtete statt auf Jay Johnson bzw. Paul Winchell. So real kann also eine gute Illusion sein und als Bauchredner kann man sich nichts besseres wünschen, immerhin ist diese Illusion, eine leblose Figur zum Leben zu erwecken das, was einen guten Bauchredner aus machen sollte. Vielleicht sollte man den "Mikrofon-Menschen" allerdings vorher aufklären, wo er oder sie besser das Mikro hält, wenn die Puppe "spricht". Aber dafür haben wir ja die Anekdoten von Paul Winchell und Jay Johnson, um angehende Film- und Fernseh-Bauchredner-Stars auf eventuelle "Soundprobleme" hinzuweisen... ;-)

Unseren Haustieren dagegen täte es sicher gut, wenn wir sie konsequent entmenschlichen würden. Nicht wahr, Nelly? Bibi?

Bis zum nächsten Blog,
sarah

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