Samstag, 30. Juni 2018

M&M: A Ghost Story

Der Titel wirkt offen und gerade heraus, worum es geht, eine typische Geistergeschichte, aber das ist "A Ghost Story" aus dem Jahr 2017 ganz und gar nicht. Geschrieben hat die Geschichte David Lowery, der auch Regie führte.

Erzählt wird die Geschichte eines jungen Paares (Rooney Mara und Casey Affleck), das in einem kleinen Haus lebt. Die Frau würde gerne ausziehen, aber der Mann möchte nicht. Er mag die Geschichte des Hauses, sagt er ihr. Sie erzählt ihm, dass sie als Kind viel umgezogen ist und jedes Mal einen kleinen Zettel beschriftet und in einer Ritze vom Haus versteckt, damit falls sie noch einmal wieder käme, etwas auf sie dort warten würde. Kurz bevor sie doch ausziehen, stirbt der Mann durch einen Autounfall. Die Frau sieht sich den toten Mann noch ein letztes Mal im Krankenhaus an und deckt ihn schließlich mit dem Laken ganz zu. Nachdem sie gegangen ist, wird der Körper unter dem Laken lebendig. Er ist ein Geist geworden. Bedeckt durch das Laken geht er erst durch das Krankenhaus und schließlich zurück zu seinem Haus, an das er scheinbar gebunden ist und nicht weg kann.

Er beobachtet seine trauernde Frau. Es ist irgendwie ein wenig belustigend und doch traurig, den Geist mit seinem Laken zu sehen, wenn er im Raum steht oder sitzt, sich kaum oder gar nicht bewegt. Als der Geist eines Tages aus dem Fenster schaut, sieht er im Nachbarhaus ebenfalls einen Geist am Fenster stehen. Sie reden kurz.

Mit der Zeit findet die Frau einen neuen Partner und zieht aus. Einer der wenigen Momente im Film, die etwas gruselig und typisch Poltergeist werden, als der Geist wütend (oder ist es neidisch?) wird. Normalerweise würden wir uns in solchen Momenten in Filmen gruseln. Hier hat die Szene eher etwas bitter süßes. Wie sie ihrem Partner vorher erzählt hat, versteckt die Frau auch jetzt einen beschrifteten Zettel in einer Ritze im Haus.

Eine Mutter zieht mit ihren zwei Kindern ein. Sie feiern Weihnachten. Doch mit dem Geist kommen sie nicht klar und nach einem weiteren Wutanfall des Geistes, bei dem Teller an die Wand fliegen, zieht die Familie wieder aus.

Schließlich wird das Haus platt gemacht. Der "Nachbargeist" ist bereit zu gehen. Nur "unser" Geist bleibt und ist auch immer noch dort, als statt des kleinen Hauses ein Hochhaus mit Büroräumen entstanden ist. Nachdem der Geist sich verzweifelt vom Hochhaus stürzt, findet er sich im 19. Jahrhundert wieder. Eine Familie von Siedlern möchte ein Haus bauen. Das Mädchen der Familie beschriftet einen kleinen Zettel, legt diesen auf den Boden und legt einen Stein darauf. Die Familie wird von amerikanischen Ureinwohnern getötet. Der Geist bleibt bei der Familie und sieht zu, wie der Körper des Mädchens nur noch Knochen sind.

Ob der Geist am Ende seinen Frieden findet und wie der Film aus geht, müsst ihr selbst anschauen. Ein Film mit dem Titel "A Ghost Story" würden Leute, die Horrorfilme nicht mögen sicher erst einmal meiden. Ich kann ihn aber wirklich jedem wärmstens empfehlen. Der Film ist überhaupt kein Gruselfilm und die beiden Momente, die Poltergeist-ähnlich werden, sind bereits oben erwähnt. Gruseliger wird es nicht. Statt dessen beeindruckt der Film durch seine ruhige Art, nicht zuletzt durch kaum Dialog, langen Szenen ohne Schnitt oder Kamerabewegung und einem sehr schönen Soundtrack von Daniel Hart. Außerdem ist der Film im Format 1.33 : 1, statt des üblichen 2.35 : 1. Das heißt, dass links und rechts schwarze Balken sind. Außerdem sind die Ecken rund, was dem Film insgesamt eine ganz eigene Atmosphäre gibt.

Ich kam erst neulich zufällig auf den Film, weil ich den Titel irgendwo im Internet in einer Liste von Filmen gelesen hatte. Sicherlich werde ich mir in nächster Zeit noch weitere Filme von David Lowery ansehen, nachdem mir jetzt "A Ghost Story" wirklich gut gefallen hat.

["Ain't Them Bodies Saints" (The Saints - Sie kannten kein Gesetz) ist ein weiterer Film von David Lowery, wieder spielen Rooney Mara und Casey Affleck mit und ja, Daniel Hart komponierte auch hier die Musik. Hab den Film noch nicht gesehen. Vielleicht sehe und bespreche ich ihn aber bald.]

Sonntag, 24. Juni 2018

Regen

Heftigere Regenfälle in den letzten Wochen haben mich unweigerlich an gewisse Filmzitate denken lassen.

Ich hatte schon vor Monaten wiederholt die ersten 6 Folgen von "The Tick" gesehen. In Folge vier (Party Crasher) kommt der Rächer Overkill zurück zu seinem Boot, das eine künstliche Intelligenz besitzt und auf den Namen "Dangerboat" hört. Kurz darauf will Overkill wieder gehen.

Dangerboat: Du bist doch eben erst zurückgekehrt.
Overkill: Das Verbrechen hat diese Stadt übernommen. Diese Menschen müssen bestraft werden. Sie sind sowieso nur Tiere. Es wird Zeit, dass der wahre Regen fällt und den Abschaum von der Straße spült.

(Crime has overtaken this city. There must be punishment. They're all animals, anyway. It's time for the real rain to come and wash all this scum off the street.)

Filmfans dürften die Worte recht bekannt vorkommen. Auch Dangerboat entgeht eine gewisse Ähnlichkeit nicht und antwortet darauf entsprechend.

Dangerboat: Travis Bickle.
Overkill: Was?
Dangerboat: Taxi Driver.
Overkill: Halt die Fresse.

Zum Vergleich Travis Bickle (Roberd de Niro) in "Taxi Driver":

10. Mai. Endlich hat es geregnet. Dreck und Abfälle wurden von den Bürgersteigen gespült. Ich arbeite bis zur Erschöpfung. Von abends um sechs bis morgens um sechs oder acht. Sechs Tage die Woche, manchmal auch sieben. Das schlaucht, aber es hält mich auf Trab. Pro Woche mache ich $300 – 350. Wenn ich die Uhr abstelle, schaffe ich noch mehr. Wenn es dunkel wird, taucht das Gesindel auf. Huren, Betrüger, Schwuchteln, Drogensüchtige, Junkies. Syph-Kranke. Eines Tages wird ein großer Regen diesen Abschaum von der Straße spülen.

(May 10th. Thank God for the rain which has helped wash away the garbage and trash off the sidewalks. I'm workin' long hours now, six in the afternoon to six in the morning. Sometimes even eight in the morning, six days a week. Sometimes seven days a week. It's a long hustle but it keeps me real busy. I can take in three, three fifty a week. Sometimes even more when I do it off the meter. All the animals come out at night - whores, skunk pussies, buggers, queens, fairies, dopers, junkies, sick, venal. Someday a real rain will come and wash all this scum off the streets.)

Mittwoch, 13. Juni 2018

Fred auf dem Dach

Fred saß auf dem Dach.

Sein hell blondes Haar zeichnete sich deutlich von den braunen Dachziegeln ab und seine hell blauen Augen leuchteten. Ja, heute, jetzt auf dem Dach war einer der wenigen Momente seines jungen Lebens, an dem sie leuchteten. Sie sprühten wie ein fröhliches Laubfeuer im Herbst.

Aber das konnte die Menschenmenge unten nicht sehen. Heute war der Tag, an dem die ganze Nachbarschaft ihn beachtete. All die Jahre, die ganzen verdammten 14 Jahre, die er auf der Welt war, hatte er nie so viel Aufmerksamkeit bekommen, wie jetzt.

Wenn jemand sich das Leben nehmen wollte, kam es von allen Seiten „oh“ und „ach“.

Und vorher?

Wie Ameisen wuselten sie auf der Straße, hilflose, kleine Wesen, ihm zu dienen.

Gott hieß nicht mehr Gott. Er hieß jetzt Fred.

Alle sehen zu ihm auf. Alle gehorchen ihm. Einziger Gedanke: spring da nicht runter.

Fred war der Puppenspieler. Meine Damen und Herren, die Zeit ist um. Rot oder grün? Tod oder Leben? Springen oder nicht?

Fred erhob sich.

„Oh!“, kam es von überall, wie ein Echo. Manche schrieen „Nein!“ und „Junge, pass auf!“ oder „Junge, lass das sein!“

Fred hob seine Arme wie zum Sprung.

Was würden seine letzten Worte sein?

„Ihr seid alle so dumm!“, schrie er aus voller Kehle, öffnete das Dachfenster und stieg wieder ins Haus.



Diese Geschichte schrieb ich 2001 oder 2002 als wir gerade Kurzgeschichten in Deutsch durchnahmen und einige Mitschüler sich beklagten, dass die bisher besprochenen Kurzgeschichten zu langweilig waren. Nun ist der Sinn einer Kurzgeschichte sowieso nicht gerade spannend zu sein. Als ich von der Schule kam, erinnerte ich mich an eine Aufgabe, die ich in einem Buch über Geschichten bzw. Bücher schreiben gelesen hatte. Ich hatte die Aufgabe ursprünglich nicht besonders gemocht. Jetzt hatte ich irgendwie eine Geschichte im Kopf. Man solle sich vorstellen, dass eine Person sich auf einem Hausdach befindet, kurz davor hinunter zu springen. Was wären die letzten Worte? Was wäre der letzte Satz?

Ich wollte meine Person nicht springen lassen, entsprechend das Ende meiner Geschichte. Ich schrieb sie und brachte sie dann zum nächsten Unterricht mit. Die Lehrerin war bereit, die Geschichte in den Unterricht einzubringen. Natürlich musste ich selbst vorlesen. Ich hasse vorlesen.

Einen Satz habe ich leicht abgeändert, weil er offenbar anders verstanden wurde als von mir ursprünglich gedacht. Ansonsten ist die Geschichte ohne weitere Änderungen geblieben, so wie ich sie ursprünglich aufgeschrieben habe.