Mittwoch, 5. Dezember 2012

Der purpurne Zauberer aus der Wüste

Liebe Leserinnen und Leser,

heute ist ein großer Tag. Ich löse endlich meine Ankündigung ein, über Milton Erickson zu schreiben. Er wurde am 5. Dezember 1901 in Aurum, Nevada geboren. Sein Geburtstag schien mir angemessener statt des Todestages: 25. März 1980 in Phoenix, Arizona.

Erickson wuchs als Kind einer Bauernfamilie auf mit 7 Schwestern und nur 1 Bruder. Erickson ließ sich Zeit, mit dem Sprechen anzufangen als Kind. Seine Mutter nahm es gelassen: "Wenn die Zeit kommt, wird er sprechen." Mit 4 Jahren fing er dann auch an. Er tat sich in der Schule aber erst sehr schwer. Ein Wörterbuch las er nicht, indem er es wenigstens bei dem Anfangsbuchstaben des Wortes, was er suchte aufschlug, sondern er fing tatsächlich bei "a" an und las, bis er bei dem Buchstaben und Wort ankam, was er eigentlich suchte. Das brachte ihm den Spitznamen "Dictionary" (Wörterbuch) ein. Er war Legasteniker.

1919 machte er seinen Abschluss an der Highschool und man fürchtete, dass das das Ende für ihn war. Erickson hatte eine Polioinfektion (Kinderlähmung, seine erste) bekommen, war völlig gelähmt und hörte im Nebenzimmer, wie der Arzt seiner Mutter sagte: "Der Junge wird den Morgen nicht erleben." Erickson fand heraus, dass er ein Auge mit größter Anstrengung kontrolliert bewegen konnte und verbrachte etliche Stunden damit, die Aufmerksamkeit seiner Mutter zu bekommen und ihr durch Augenbewegungen zu verstehen zu geben, dass er eine Kommode in seinem Zimmer anders gestellt haben wollte. Was er ihr nicht sagen konnte: die Kommode versperrte ihm die Sicht und er wollte nicht sterben, ohne den Sonnenuntergang gesehen zu haben. Er bekam ihn aber nicht ganz mit, denn er war für 3 Tage bewusstlos.

Er musste alles neu lernen. Seine jüngste Schwester war gerade in dem Alter, wo sie selbst laufen lernte, so dass er es sich bei ihr abschauen und dieses Mal bewusst lernen konnte. Erickson selbst bezeichnete die Polioinfektion einmal als "unheimlichen Vorteil". Schon als er krank war und sich nicht bewegen konnte, studierte er seine Familie und andere Anwesende im Haus. Er fand heraus, dass seine Geschwister "ja" sagen, aber "nein" meinen oder auch "nein" sagen, aber "ja" meinen konnten. So sammelte er elementare Erfahrungen in genauer Beobachtung, Ausdruck und Körpersprache. Als er dann wieder halbwegs laufen konnte, wollte er eine Kanu-Tour mit einem Freund machen. Glücklicherweise war seine Familie nicht bei der Abreise dabei, denn kurzfristig sagte der Freund ab. Ich denke nicht, dass seine Familie ihn alleine hätte fahren lassen. Wenn Erickson das Boot umsetzen musste, brauchte er Hilfe. Aber er machte es sich zu einem Experiment der Reise, niemals direkt um Hilfe zu bitten sondern immer Situationen zu schaffen, dass die anderen ihn fragten oder Hilfe anboten. So kam es öfters vor, dass er da saß und Deutsch-Vokabeln für sein Medizinstudium lernte, bis jemand vorbei kam.

Schon als Student interessierte er sich für Hypnose und arbeitete zunächst in Krankenhäusern, in der Psychiatrie. Sein Chef sagte ihm einmal, dass der Gehstock, den Erickson benutzen musste zum Laufen, hilfreich sei und sympathisch machte sowohl bei Patienten als auch Kollegen. Die weiblichen Patientinnen sehen in einem Mann mit Gehstock keine Bedrohung und die männlichen Kollegen keine ernsthafte Konkurrenz. 1947 stürzte er unglücklich mit dem Fahrrad und obwohl er ansonsten gegen Impfungen war, ließ er sich eine Tetanusimpfung geben. Er bekam einen anaphylaktischen Schock, überlebte nur knapp und hatte seither Pollenallergien. Das war auch der Grund, warum er letztlich aufhörte in Krankenhäusern zu arbeiten und nach Phoenix zog, wo das Wüstenklima zumindest angenehmer war, was seine Allergien anging.

1953 kam ein Post-Polio-Syndrom zu seinen Beschwerden. Er arbeitete intensiv mit vielen bekannten Therapeuten zusammen, unter anderem Jay Haley, Gregory Bateson, Margaret Mead. John Grinder und Richard Bandler, die das Neuro-Linguistische Programmieren (NLP) entwickelten, analysierten und nutzten Ericksons hypnotische Sprachmuster. Mein Freund John ist da eine Methode, die ich bereits in anderen Einträgen erwähnte.

Wie man vielleicht schon an meinem, diesen Eintrag hier merkt, gibt es viele Geschichten um Erickson. Selbst wenn ich die nächsten Einträge verwenden würde, um einige dieser Geschichten wieder zu geben, bräuchte es seine Zeit. Erickson war ein genialer Geschichtenerzähler. Aber er erzählte nicht einfach nur so zur Unterhaltung, sondern immer auch um indirekt zu helfen und zu heilen.

Viele Leute früher und heute kennen Erickson vor allem aus seinen späten Jahren, als er halbseitig gelähmt im Rollstuhl saß, schwerhörig war und alles doppelt sah und unter chronischen Schmerzen litt. Es ist beeindruckend in selbst nur auf kurzen youtube Videos zu sehen. Alleine dort merkt man, dass er vor Lebensfreude und Lebensenergie sprühte trotz (oder gerade wegen?) seiner vielen Leiden. Ich denke, seine offensichtlichen körperlichen Probleme machten ihn auch glaubwürdiger vor seinen Patienten. Wem würdet ihr mehr glauben, dass Schmerzkontrolle wirklich möglich ist: wenn ein scheinbar junger, gesunder, dynamischer Arzt euch davon erzählt, oder einem kränklichen älteren Mann im Rollstuhl? ;-)

Das sind nur einige wenige Aspekte aus Ericksons Leben und Wirken. Viele Geschichten und andere Aspekte, die ich weiß und die mir beim Schreiben teilweise auch einfielen, habe ich aus gelassen. Ein einziger Eintrag reicht längst nicht.

Wer einmal mehr über Erickson erfahren möchte, dem empfehle ich wärmstens Sidney Rosens Sammlung von Ericksons Geschichten Die Lehrgeschichten von Milton H. Erickson. Wer einmal einen kleinen Eindruck haben will, wie Erickson mit Schülern umging, dem empfehle ich das 5-Tage-Seminar, das sein Schüler Jeffrey Zeig aufgezeichnet hat. Die schriftliche Fassung ist nachzulesen in Meine Stimme begleitet Sie überallhin. Ein Lehrseminar mit Milton H. Erickson. Wer noch mehr Fragen hat oder Anregungen haben möchte, kann mir gerne schreiben. Für's erste soll es das gewesen sein, euch Erickson vorzustellen. Ich bin sicher, dieser Eintrag hier wird aber nicht der letzte sein, in dem er Erwähnung findet.

Bis zum nächsten Blog,

sarah

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