Dienstag, 19. März 2013

Wahrnehmung ist alles

Liebe Leserinnen und Leser,

in "Ein Skandal in Böhmen" gibt es einen Moment zwischen Sherlock Holmes und Dr. John Watson, wo Watson seine Bewunderung ausspricht, dass Holmes immer so viel wahrnimmt. Holmes fragt ihn daraufhin, wie oft er die Treppen zu ihren Wohnräumen hoch gelaufen wäre. Hunderte Male, gibt Watson als Antwort. Und wie viele Stufen sind es? Watson hat keine Ahnung. Das ist der Unterschied zu sehen und zu beobachten.

Als ich vielleicht so etwa 14 Jahre alt war, habe ich die Sherlock Holmes Bücher gelesen. Natürlich mussten wir dann auch, als wir in London Urlaub gemacht haben, ins Sherlock Holmes Museum. Den Hut, den wir mit Sherlock Holmes verbinden, hat Sir Arthur Conan Doyle (1859-1930) in seinen Büchern übrigens nie erwähnt. Nur einmal ist von einem "Wanderhut mit Ohren" (flapped traveling hat) die Rede. Der bekannte "Sherlock Holmes Hut", der Deerstalker, kommt von den Illustrationen zu den Geschichten, die Sidney Pagets geliefert hat.

Der moderne Sherlock Holmes der bereits erwähnten aktuellen BBC Serie hat daher Recht, wenn er die Augen verdreht bei der Mütze. Die wird übrigens erst in der 1. Episode der 2. Staffel (Ein Skandal in Belgravia/A Scandal in Belgravia) eingeführt, also verhältnismäßig spät. Sherlock Holmes und Dr. Watson sind dort in einem Theater, wo ein Mord passiert ist. Ihnen ist klar, dass wahrscheinlich Reporter draußen auf sie warten. Also greift Holmes bei einer Garderobe zu einer Mütze für sich und wirft Watson eine weitere zu. Doch die Reporter erwarten und erkennen die beiden. Damit geschieht das unvermeidliche: Holmes wird fotografiert und ist damit auf ewig mit der Mütze verbunden. So wird der bekannte Deerstalker noch bekannter und zur "Sherlock Holmes Mütze". Ursprünglich war die Mütze für die Jagd, obwohl sicherlich nicht ausschließlich zur Rehjagd ("deer" ist englisch für Rotwild, "to stalk" ist die Pirsch). Die Krempe vorne und hinten ist rein aus praktischen Gründen: vorne schützt sie, wie andere Mützen mit Krempe auch. Die Krempe hinten ist, damit Regen nicht in den Kragen, sondern über die Mütze weiter hinten auf die Jacke oder den Mantel tropft.

Zurück zu Holmes und Watson. In vielen Verfilmungen sind die beiden schon wie selbstverständlich zusammen. Benedict Cumberbatch und Martin Freeman, die Holmes und Watson in der BBC Version spielen, erklärten einmal in einem Interview, dass ihnen erst bei den Dreharbeiten bewusst war, was für Rückschlüsse manche ziehen würden über zwei Männer, die zusammen leben. Holmes und Watson lernen sich in der ersten Geschichte (Eine Studie in Scharlachrot/A Study in Scarlet) erst kennen. Beide suchen eine billige Möglichkeit zu wohnen. Für Holmes wäre die Wohnung, die er gefunden hat alleine zu teuer. Watson kommt verwundet aus dem Afghanistan-Krieg und hat auch nicht viel Geld. Doch der Freund bringt die beiden zusammen. In ihrer ersten Begegnung kann Holmes mit nur einem Blick, dass Watson Soldat ist und in Afghanistan war. Watson ist natürlich sprachlos.

Interessant für die BBC Serie ist, dass auch hier Watson verwundet aus Afghanistan zurück kommt, ganz so wie in der Buchvorlage. Plötzlich ist die Möglichkeit für eine Geschichte um einen invaliden Soldaten aus Afghanistan wieder brandaktuell und real. Holmes und Watson haben auch eine Vermieterin, Mrs. Hudson. Ich hätte beinahe "Haushälterin" geschrieben, aber wie sie in der BBC Serie wiederholt deutlich macht: "Ich bin nicht Ihre Haushälterin!" und trotzdem kümmert sie sich um die Wohnung der beiden. Gespielt wird Mrs. Hudson dort von Una Stubbs. Benedict Cumberbatch, der Sherlock Holmes spielt und Una Stubbs kennen sich auch im richtigen Leben. Seine Mutter und Stubbs sind befreundet. Die freundschaftliche Beziehung, die also in der Serie zu sehen ist, besteht auch im echten Leben. Möglicherweise spricht viele Fans die britische Serie eher an, da sie sich viel an die Buchvorlagen hält, mit einigen Änderungen und Anpassungen an eine moderne Zeit.

In der amerikanischen Serie gibt es eine abwechslungsreiche Variante, was Holmes und Watson angeht: Watson wird dort gespielt von Lucy Liu. Ja, Dr. Joan Watson ist eine Frau! Dadurch ergeben sich für die beiden spannende neue Möglichkeiten, was deren Beziehung angeht. Es wird sich zeigen, was sich dabei für sie ergibt. In der amerikanischen Version wird Holmes von Jonny Lee Miller gespielt. Er und Benedict Cumberbatch sind befreundet. Beide haben vor einiger Zeit auch gemeinsam in einer Theaterproduktion von Frankenstein gespielt. Wobei beide sich abgewechselt haben zwischen der Monster-Rolle und Dr. Frankenstein. Auf youtube könnt ihr Ausschnitte davon sehen. Ich hätte die beiden gerne einmal live zusammen erlebt.

Das typische an Sherlock Holmes ist, dass er oft etwas patzig und schroff wirkt. Er sieht... verzeiht... beobachtet... viel mehr, als manchmal gut für ihn ist. Er analysiert alles und ständig, kann es nicht abschalten. Dadurch scheint er dann gefühlskalt. Vor allem braucht er ständig etwas zu tun. Langeweile ist wie Gift für Sherlock Holmes. In den Büchern greift er dann schon mal zu Drogen. Für die BBC Version hat Sherlock Holmes Nikotinpflaster, um sich das Rauchen abzugewöhnen. Das mehr oder weniger bekannte "drei Pfeifen Problem" aus den Büchern wird dann zum "drei Pflaster Problem" (three patch problem) und Watson findet Holmes mit 3 Nikotinpflastern auf einem Arm vor. Die amerikanische Serie geht noch weiter. Denn dort ist Watson seine Betreuerin, nachdem Holmes im Entzug war. Hier ist wo Watson ins Spiel kommt. Der Verstand von Holmes ist so geschärft, dass ihm oft das Gespür für sozial angemessenes Verhalten fehlt und er vernachlässigt sich und seine körperlichen Bedürfnisse und isst einige Zeit lang nichts. Watson sorgt in der Hinsicht für sie beide, zusammen mit Mrs. Hudson. Ich glaube, Holmes ist eine faszinierende Figur, weil er so viel sieht und sein Verstand so scharf ist. Aber letztlich glaube ich, dass ständig alles zu sehen und das nicht Abschalten können eher langfristig ein Fluch ist und kein Segen. Möglicherweise ist das der Fluch nicht nur von Sherlock Holmes, sondern von Genies überhaupt: sie können einige wenige Sachen sehr gut und scheitern dafür in gewissen Dingen im Alltag, die andere wie ganz normal halten.

Viele denken bis heute, dass Sherlock Holmes eine reale Person war. Es ist beeindruckend, wie Sherlock Holmes arbeitet und an Probleme heran geht. Für Ermittlungen bei der Polizei ist er daher zu Recht heute noch Vorbild! Allerdings hat es die Person Sherlock Holmes so nie gegeben. Arthur Conan Doyle, der selbst Arzt war, hatte sein reales Vorbild für Sherlock Holmes in einem gewissen Dr. Joseph Bell. Ganz wie Sherlock Holmes hatte Bell eine große Beobachtungsgabe. Diese zeigte er oft, indem er von Fremden deren Beschäftigung und kürzliche Aktivitäten herleiten konnte. Das führte dazu, dass sich bei Gerichtsverhandlungen weniger ausschließlich auf Zeugenaussagen verlassen wurde und dafür die Forensik entwickelte.

Doyle selbst war übrigens gar nicht so angetan von Sherlock Holmes. Er wollte dem ganzen ein Ende setzen und brachte ihn in der Erzählung "Das letzte Problem" (The Final Problem) 1893 um. Sie ist eine Geschichte, die sich  als letzte von mehreren Kurzgeschichten im Band "Die Memoiren des Sherlock Holmes" (The Memoires of Sherlock Holmes) findet. Dort stürzen er und sein Erzfeind Professor James Moriarty in den Reichenbachfall. Moriarty ist als einziger Mensch Holmes ebenbürtig, was seinen Intellekt angeht. Abgesehen möglicherweise noch von Holmes' eher unbekannten Bruder Mycroft Holmes. Es gab große Proteste und Empörung bei den Lesern. 1901 wurde Doyle auf eine Legende um einen Geisterhund aufmerksam. Er nahm diese Legende als Vorlage, um Holmes in "Der Hund der Baskervilles" (The Hound of The Baskervilles) wieder auferstehen zu lassen. Aufklärung wie Holmes dem Tod entkommen konnte, findet sich in der Erzählung "Das leere Haus" (The Empty House), wo Holmes wieder auftaucht und Watson berichtet, was passiert ist.

Apropos: die letzte Episode in der 2. Staffel der BBC Serie hat "Das letzte Problem" als Vorbild. Das heißt, Holmes stirbt. In diesem Fall stürzt er sich von einem Haus. Die letzte Einstellung zeigt Watson am Grab seines Freundes und Holmes steht weit abseits versteckt. Er hat also überlebt. Die Frage ist nur: wie? Darüber gibt es im Internet diverse Theorien. Die Auflösung wird sicher in der nächsten Folge der neuen Staffel kommen. Entsprechend sehnsüchtig warten Fans nun darauf, dass sie endlich kommt. Was mich persönlich mehr interessiert und wo auch mehr Einigkeit besteht ist die Frage, wie Holmes und Watson sich das erste Mal danach wieder begegnen. In der Erzählung fällt Watson in Ohnmacht. Das scheint für den BBC Watson eher unwahrscheinlich. Ein Schwall von Schimpfwörtern ist wahrscheinlicher. Auf imdb.com lässt sich bereits nachlesen zur 1. Episode der 3. Staffel, dass Teile wie Holmes seinen Tod vortäuscht, bereits in der vorigen Episode zu sehen ist und bereits beim Dreh eben dieser Folge mit gefilmt wurde. Abwarten... bis voraussichtlich Frühjahr 2014. Bis dahin können wir Benedict Cumberbatch als Necromancer und Drachen Smauch und Martin Freeman als Bilbo Beutlin in "Der Hobbit" zusammen genießen.

Bis zum nächsten Blog,

sarah

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