Mittwoch, 7. August 2013

Bauchredner gut - Nichtbauchredner böse

Liebe Leserinnen und Leser,

zugegeben, es gab und gibt ein paar komische Bauchredner. Edgar Bergen hat beispielsweise Charlie McCarthy in den späten Jahren ein eigenes Zimmer gegeben. Candice Bergen, die Tochter von Edgar Bergen, war sicher früher sehr frustriert, wenn Charlie McCarthy als ihr großer Bruder bezeichnet wurde. Al Stevens berichtet in seinem Buch Ventriloquism: Art, Craft, Profession, dass Paul Winchell massive Probleme mit seiner Mutter hat. Das ging so weit, dass er in der Psychatrie war. Er lief dort weg, um nachts auf dem Friedhof, am Grab seiner Mutter ein Gespräch mit seinen beiden Figuren Jerry Mahoney und Knucklehead Smiff halluzinierte. (Stevens bezieht sich hier auf Paul Winchells Autobiografie "Winch", die ich allerdings nicht gelesen habe. Ich kann also nur von Stevens wiedergeben.)


Al Stevens schreibt auch, korrekterweise, wie ich finde, dass es sicherlich einen gewissen Prozentsatz mehr oder weniger verrückter Bauchredner gibt. Aber dieser Prozentsatz Verrückter auch in anderen Professionen zu finden ist. Die Vorstellung, dass Bauchredner verrückt sind, ist damit keineswegs häufiger oder seltener als bei anderen Menschen. Die Medien, vor allem gerne Filme, verbreiten nur gerne das Image des verrückten Bauchredners oder der mörderischen Bauchrednerpuppe. Das ist ähnlich wie das allgemeine Image von Hypnotiseuren. Viele Menschen haben auch vor Hypnotiseuren Angst, wenn auch aus etwas anderen Gründen. Die Sache mit Hypnotiseuren ist oft, dass die Leute glauben, der Hypnotiseur würde sie völlig willenlos machen.


Viel öfter als den tatsächlich verrückten Bauchredner, taucht er im Film auf. Sei es gespielt von Jay Johnson als Chuck Campbell in "Soap", für den Bob so real ist wie ein echter Mensch. "Soap" ist sowieso nicht ganz normal. In der Serie geht es um zwei Schwestern, Mary Campbell und Jessica Tate und ihre Familien. In beiden Familien geht es nicht normal. Ein Bauchredner, der seine Figur wirklich nur als Figur sieht, wäre da unpassend gewesen. Billy Chrystal beispielsweise spielte einen weiteren Bruder der Familie und war schwul. Heute sicher weniger dramatisch, aber um 1980, als die Serie gedreht wurde, schon eine große Sache. Eine meiner Lieblingsszenen ist die mit Chuck,Bob und dem Kühlschrank.

Chuck undBobs erste Begegnungen mit beiden Familien sind sicherlich auch sehenswert. Und die Szene als Bobsich als Hellseher gibt, zeigt schön, dass Chuck nicht alleine ist, Bob als eigenständige Person anzuerkennen. Klasse finde ich den Blick, den Mary ihrem Mann Burt zuwirft.


Es gibt kein Video davon online, aber in der "Night Court" Episode "The Next Voice You Hear" (Staffel 4, Episode 1) spielt Ronn Lucas einen Bauchredner, der zwar redet, ohne die Lippen zu bewegen und ohne Figur. Er weigert sich, mit seiner normalen Stimme zu reden. Ein erfolgreicher Akt, sagt er, ist abhängig von der Beziehung des Bauchredners und seiner Figur zueinander. Er hätte zwar seine Fähigkeiten ausgearbeitet, aber solange er nicht die passende Figur dazu gefunden hätte, würde er sich eben weigern, als er selbst zu sprechen.


In "LA Law" spielt er in der Folge "Dummy Dearest" (Staffel 3, Folge 6) mit. Als Kenny Petersen, der mit 3 Jahren mehrere Tage im Kofferraum eines Autos eingesperrt war, spricht er selbst nicht. Dafür hat er eine Figur, die für ihn spricht. Diese hat mit ihm auch nicht gerade mehr Geduld, als andere Leute Kenny herum, die ihn für verrückt halten, weil er immer mit dieser Puppe heraumläuft. Auch zu dieser Episode gibt es leider keine Szene im Internet zu finden, um sie euch hier zu zeigen.


Ich erwähne diese Filme jetzt nur, weil sie für mich, trotz des Klisches des verrückten Bauchredners, doch recht originell sind und nicht das typisch "mörderisch Verrückte" sind, wie so viele andere.


Als Bauchredner ist man mehr als nur Schauspieler. Man ist Zuschauer, wenn die Figur aktiv ist, und doch ist man gleichzeitig Schauspieler, denn man spielt ja die Figur. Das ist etwas, was andere Schauspieler nicht haben. Entweder sind sie in ihrer Rolle, oder eben nicht. Nur Bauchredner sind Schauspieler und Zuschauer zur gleichen Zeit.


Ronn Lucas' Rolle in "LA Law" finde ich dabei besonders faszinierend. Sie geht noch ein Stück weiter als die "üblichen" 2 Rollen eines Bauchredners, denn er muss auf der einen Seite (kein Wortspiel beabsichtigt) einen depressiven, eingeschüchterten Bauchredner spielen und gleichzeitig ist seine Figur völlig in Rage gegen fast alle, mit denen er zu tun hat... einschließlich Kenny Petersen selbst. Eine besonders rührende Szene gibt es am Ende der Folge, als Kenny mit seiner Figur in einem Raum voll Akten in einer Ecke hockt und die Figur ihn heftig an macht, dass es völlig sinnlos wäre weiter für ihn zu sprechen und er ein hoffnungsloser Fall wäre. Die Szene ist um so schöner (jedenfalls so sehr eine solche Szene schön sein kann) anzusehen, wenn man sich bewusst macht, dass Ronn Lucas nicht einfach eine Szene ohne Text hat, sondern die sehr wütende Figur spricht und das, ohne mit den Lippen zu zucken oder sonst wie sichtbar ist, dass er tatsächlich im gleichen Moment für die sehr emotionale Figur spricht. Solche Szenen wirken simpel. Jemand spricht und jemand anderes nicht. Tatsächlich sind sie aber komplizierter als sie aussehen, ähnlich wie ein Zaubertrick. Die Kunst des Bauchredens ist, dass man gleich die Texte der Figur dabei hat. Es ist nichts erst im Nachhinein zusätzlich gesprochen. Das ist wirklich eine Kunst. Ich vermisse gute Bauchredner. Die Filme heute sind alle animiert, wo Schauspieler einfach die Texte sprechen. Oder man behilft sich, indem man Schauspieler den Text "off camera", also für die Kamera nicht sichtbar, sprechen lässt.


Als Bauchredner kann man kreativ sein und hat einen unglaublich komplexen Auftrag, indem man zwei Personen gleichzeitig sein muss. Außerdem gibt das Bauchreden die Möglichkeit, Dinge zu sagen, die man sonst nicht sagen könnte (weil es in der Gesellschaft unangemessen wäre) oder sich trauen würde zu sagen (weil sie schüchtern sind). Die Figuren geben die Freiheit aus sich raus zu kommen, wirklich alles sagen zu können und trotzdem selbst schüchtern und zurückhaltend zu sein. Bauchreden ist die sicherste Art, einmal aus sich raus zu kommen und „Dampf abzulassen“. Bauchredner sind nicht verrückt oder böse. Verrückt sind nur die Menschen, die alles in sich hinein fressen und nicht raus lassen. So etwas macht auf Dauer wirklich krank und verrückt, denke ich.


Bis zum nächsten Blog,
sarah

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